Blind, taub, gleichgültig: Deutschland auf dem Weg in den Abgrund
Jeden verdammten Tag knallen uns neue Schreckensmeldungen um die Ohren. Krieg, Hass, Skandale – und immer derselbe bittere Beigeschmack: Wir haben nichts gelernt. Gar nichts. „Nie wieder“? Ein hohles Versprechen.
Nazis sitzen wieder in unseren Parlamenten – im Bundestag, in den Landtagen, in Kreistagen, in Gemeinderäten. Offiziell gewählt, mit Ämtern ausgestattet, mitten in den Strukturen der Demokratie. Was nach 1945 unvorstellbar schien, ist heute Realität.
Wir haben zugelassen, dass über „Remigration“ gesprochen wird – ein verharmlosendes Wort für Deportation, für Vertreibung, für ethnische Säuberung. In Potsdam wurde das 2024 hinter verschlossenen Türen beraten, von Politikern, Unternehmern und rechten Vordenkern. Der Skandal hätte die Republik erschüttern müssen. Doch was passierte? Ein paar Tage Empörung, ein paar Demos – und dann Alltag. Die Protagonisten sind immer noch im Amt, die Pläne liegen immer noch auf dem Tisch, und in den Umfragen verlieren sie kaum Stimmen. Im Gegenteil, sie legen sogar zu.
Wir haben zugelassen, dass in Bayern und anderswo bis heute rechtswidrige Grenzkontrollen stattfinden, obwohl Gerichte längst klargemacht haben, dass sie illegal sind. Doch wen interessiert schon das Gesetz, wenn man Bilder von „Schutz“ und „Ordnung“ produzieren kann? Hauptsache, das alte Feindbild lebt weiter: der „gefährliche Ausländer“. Währenddessen nimmt rechte Gewalt seit Jahren zu. Morddrohungen, Brandanschläge, Angriffe auf Geflüchtete – dokumentiert in Statistiken und Berichten. Doch in den Schlagzeilen geht es um „Ausländerkriminalität“. Täter mit Hakenkreuzen im Kopf werden kleingeredet, Täter mit dunkler Hautfarbe aufgeblasen.
Wir haben zugelassen, dass ernsthaft über ein Verbot der Antifa diskutiert wird. Antifa – das ist kein Verein, sondern eine Haltung. Antifaschismus ist der Grundpfeiler unseres Grundgesetzes, die Lehre aus 1945. Ohne ihn gäbe es kein demokratisches Deutschland. Und doch wird heute behauptet, Antifa sei eine Bedrohung. Was das bedeutet, ist klar: Besonders Die Linke, die einzige Partei, die sich konsequent zum Antifaschismus bekennt, stünde sofort im Zentrum. Ein Verbot würde jede antifaschistische Haltung kriminalisieren. Abgeordnete könnten ins Visier geraten, Demos und Veranstaltungen plötzlich als „Unterstützung einer verbotenen Organisation“ gelten. Damit würde man Die Linke politisch entkernen, ihre Basis schwächen und sie delegitimieren. Und gleichzeitig gäbe man den Rechten einen Freifahrtschein: Nazis als „legitime Opposition“, Antifaschisten als „Kriminelle“. Genau diese Verdrehung wäre die Folge – ein gefährlicher Dammbruch.
Wir haben zugelassen, dass trans und nicht-binäre Menschen ihre Existenz abgesprochen bekommen – in Talkshows, in Parlamenten, auf den Straßen. Wir haben zugelassen, dass im deutschen Fernsehen die Trauerfeier eines rechtsextremen US-Hasspredigers übertragen wird, als sei das normales Programm. Wir haben zugelassen, dass rechte Netzwerke in Medien und sozialen Plattformen immer mehr Raum bekommen, während Faktenchecks im Rauschen untergehen.
Wir haben zugelassen, dass die Polizei auf Demonstrationen mit unverhältnismäßiger Härte vorgeht, Menschen einschüchtert und niederknüppelt. Gleichzeitig tauchen immer neue rechtsextreme Chatgruppen in Polizei und Bundeswehr auf – voller Hass, voller Gewaltfantasien, voller Verachtung für die Demokratie. Konsequenzen? Ein paar Suspendierungen. An den Strukturen ändert sich nichts.
Wir haben zugelassen, dass mitten in Europa Regierungen längst offen rechtsextrem agieren: Orbán in Ungarn, Meloni in Italien. Beides EU-Länder, und doch kaum isoliert. Wir haben zugelassen, dass in Gaza ein Genozid geschieht – Tag für Tag, live übertragen – und die Weltgemeinschaft schaut weg. Wir haben zugelassen, dass die Ukraine im Kampf gegen Putins Russland immer mehr allein dasteht, weil der Westen „kriegsmüde“ geworden ist. Solidarität scheint inzwischen ein Ablaufdatum zu haben.
Und während all das passiert, verroht unsere Gesellschaft. Die Sprache wird giftiger, der Ton härter, das Mitgefühl dünner. Begriffe, die nach 1945 für immer verschwinden sollten, sind wieder salonfähig. Hass wird mit Applaus belohnt. Menschen, die sich dagegenstellen, werden als „Spinner“ abgestempelt oder kriminalisiert. Die einen brüllen, die anderen schweigen aus Müdigkeit. So gehört die Straße am Ende den Lautesten – und das sind die, die am meisten zerstören wollen.
Wir sind blind geworden. Vor allem die CDU zeigt seit Jahren, dass sie bereit ist, immer weiter nach rechts zu rücken, um bloß keine Stimmen zu verlieren. Statt klar Kante zu zeigen, werden Tabus verschoben, werden Koalitionen mit der AfD nicht mehr ausgeschlossen, werden Worte gewählt, die man längst den Rechten überlassen hat. Ausgerechnet die Partei, die einmal das „C“ im Namen trug, hat sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen – und merkt nicht, dass sie damit den Boden bereitet, auf dem Faschismus wieder wachsen kann.
Wie viele Horrormeldungen braucht es eigentlich noch, bis man endlich aufwacht? Oder will man vielleicht gar nicht aufwachen? Ist es bequemer, blind zu bleiben, so zu tun, als wäre alles unter Kontrolle, als sei das nur ein bisschen „Meinungsvielfalt“? Genau diese Blindheit ist brandgefährlich. Denn sie öffnet den Rechten jede Tür, sie normalisiert das, was nie wieder normal sein dürfte.
Alles zeigt: Wir versagen. Wir haben nichts gelernt. Wir wiederholen die Fehler, die uns schon einmal ins Verderben gestürzt haben. Erst Worte, dann Taten, dann Gewalt. Und wir tun so, als sei das alles nur Teil der Demokratie. In Wahrheit ist es die Vorbereitung auf den nächsten Absturz.
Die Welt ist krank. Wir sind krank. Die internationale Lage ist ein Pulverfass. Ein Funke genügt, und alles fliegt uns um die Ohren. Sollte es tatsächlich zu einem dritten Weltkrieg kommen, wird danach nichts mehr übrig sein, woraus wir lernen könnten. Kein „Nie wieder“, kein Aufarbeiten, keine zweite Chance. Dann ist endgültig Schluss.
Und genau deshalb ist es so gefährlich, wenn heute Antifaschismus kriminalisiert wird. Wenn Antifa verboten würde, wenn Die Linke mundtot gemacht würde, wenn antifaschistische Haltung selbst zur Gefahr erklärt würde, dann reißen wir das letzte Fundament unserer Demokratie ein. Dann stellen wir uns auf die Seite derer, die alles zerstören wollen.
Wir wissen, was geschieht. Wir sehen es. Und trotzdem tun wir nichts. Am Ende wird niemand sagen können: „Wir haben es nicht gewusst.“ Wir haben es gewusst – und haben weggeschaut.
Genau das könnte uns alles kosten.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen