Die Parallelgesellschaft, über die keiner redet - und die dir die AfD gänzlich verschweigt
In Deutschland lebt eine Gruppe von rund 50.000 Leuten, die sich seit Jahrzehnten weigern, sich der deutschen Leitkultur zu unterwerfen.
Sie sprechen lieber ihre eigene Sprache – und das nicht nur im Wohnzimmer, sondern ganz unverschämt in Schulen, Kindergärten und sogar bei Ämtern. Ihre Kinder lernen schon im Sandkasten, dass „Mutter“ nicht automatisch deutsch klingen muss. Sie haben eigene Kirchen, eigene Kulturzentren, eigene Feste. Und als Krönung: Die Pflege ihrer Schulen und Kultur wird nicht nur in Deutschland gefördert, sondern zusätzlich auch von einem anderen Staat mitfinanziert – Teil einer gegenseitigen Minderheitenförderung, die seit Jahrzehnten fest vereinbart ist.
Klingt wie der schlimmste Albtraum von AfD, WELT-Kommentarseite und Stammtisch-Onkel mit Halbwissen: „Die Parallelgesellschaften übernehmen unser Land!“
Man könnte fast schon die Schlagzeile lesen: Ausländische Einflüsse bedrohen deutsche Identität – Steuerzahler zahlen mit!
Doch es kommt noch besser: Diese „Parallelgesellschaft“ hat ihre eigene Partei, die Südschleswigscher Wählerverband heißt. Und die muss nicht mal die 5% Hürde bei Landtagswahlen erreichen, sondern ist gesetzlich davon befreit. Tatsächlich sitzt sie auch 2025 im Deutschen Bundestag. Skandal?!
Stellen wir uns nur mal kurz vor, eine muslimische Partei bekäme dieses Privileg: Alexander Dobrindt würde vermutlich sofort auf einen Panzer steigen, das Notstandshorn blasen und sämtliche Grenzübergänge dicht machen.
Die Realität ist weit weniger dramatisch – und gleichzeitig entlarvend: Diese angebliche Parallelgesellschaft sind schlicht die Dänen in Südschleswig. Eine anerkannte nationale Minderheit, deren Rechte seit 1955 in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen festgeschrieben sind. Man hat ihnen zugesichert, ihre Kultur, Sprache und Schulen frei zu pflegen – und siehe da: Die Bundesrepublik ist nicht untergegangen. Ein friedliches Nebeneinander, internationales Lob und ein Vorzeigemodell für Minderheitenpolitik.
Kurz gesagt: Integration kann auch heißen, Menschen einfach in Ruhe Dänisch reden zu lassen. Die deutsche Gesellschaft bricht darunter nicht zusammen – außer vielleicht bei denen, die „Leitkultur“ für eine Art magisches Schutzamulett halten. Und jetzt kommt der eigentliche Witz: Sobald es um die dänische Minderheit geht, ist plötzlich alles kein Problem. CDU, FDP, AfD – alle halten still. Keine Empörungskommentare, keine Schlagzeilen über „Parallelgesellschaften“, kein Gezeter über angeblich verweigerte Integration. Warum? Weil’s halt blonde, lutherische Dänen sind.
Genau hier entlarvt sich die Leitkultur-Debatte selbst. Sie ist kein ernsthaftes Integrationskonzept, sondern ein Codewort für „fremd, aber bitte nur so lange, bis es uns nicht stört“. Eine muslimische Partei mit 5%-Privileg? Ein türkischer Kulturverband mit staatlicher Förderung? Da würden bei Springer gleich die Notausgaben rotieren, die Kommentarspalten implodieren und die AfD noch hysterischer „Heimatschutz!“ schreien, als sie es ohnehin schon tut.
Das Fazit ist bitterkomisch: Wenn CDU und AfD bei Dänen plötzlich tiefenentspannt bleiben, beweist das, dass es nie um „Kultur“ ging, sondern immer nur um Abgrenzung. Leitkultur ist nichts weiter als die Camouflage für Angstpolitik. Klar, 50.000 Menschen sind eine winzige Minderheit und das Beispiel ist überspitzt – aber gerade deshalb ist es so entlarvend. Es zeigt nämlich, dass Vielfalt die Gesellschaft nicht sprengt, sondern bereichert, wenn man ihr Raum gibt. Es zeigt auch, dass die angebliche „Gefahr“ von Parallelgesellschaften ein künstlich aufgeblasenes Schreckgespenst ist, das nur dann beschworen wird, wenn Hautfarbe, Religion oder Nachname nicht ins Weltbild passen.
Die dänische Minderheit beweist seit Jahrzehnten, dass Integration auch ohne Assimilation funktioniert: durch Anerkennung, Respekt und die Freiheit, anders sein zu dürfen. Wäre es nicht schön, wenn dieses Modell Schule machen könnte – nicht nur für 50.000 Menschen in Schleswig-Holstein, sondern für Millionen, die längst Teil dieses Landes sind? Dann müsste niemand mehr von „Leitkultur“ reden, weil das Zusammenleben ganz praktisch schon zeigt, dass es auch ohne kulturpolitische Zwangsjacke geht. Und wenn das ausgerechnet von den Dänen vorgemacht wird, die uns in der deutschen Geschichtserzählung eher als Erbfeinde begegnet sind, dann ist das doppelt ironisch: Ausgerechnet der „Albtraum“ vom Fremden wird hier zum Beweis, dass es funktioniert.
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