Rechter Kulturkampf im Kühlregal: Milram-Verpackungen als Projektionsfläche
Es gibt Ereignisse, die von sich aus keine große Bedeutung haben – sie sind Randnotizen, die kaum jemandem auffallen würden.
Eine Firma ändert ihr Verpackungsdesign: ein neuer Farbton, ein moderneres Logo, ein bisschen Illustrationen hier, ein bisschen Nachhaltigkeit dort.
Alles ganz normaler Alltag im Marketing.
So auch bei Milram. Der norddeutsche Molkereikonzern hat eine Sonderedition seiner Käseverpackungen auf den Markt gebracht. Drei junge Künstler:innen, zwei Frauen und ein Mann aus Köln, Berlin und Lissabon, haben Motive gestaltet, die den Markenwert „Gemeinschaft“ sichtbar machen sollen.
Auf den Packungen sind Paare, Familien, Freundeskreise zu sehen. Menschen, die sich lieben, lachen, zusammen am Tisch sitzen. Ein Mann mit dunkler Hautfarbe blickt einer rothaarigen Frau in die Augen, eine Frau mit Bart sitzt neben anderen Frauen, eine trägt violette Haare.
Alltägliche Szenen, wie sie in jeder Großstadt, in jedem Park, in jeder Schule längst Realität sind.
Eigentlich nichts Besonderes.
Doch genau diese Normalität entfesselte einen Sturm der Empörung – allerdings nicht bei der breiten Kundschaft, sondern in einer sehr speziellen Ecke der Gesellschaft: im rechten Kulturkampf-Paralleluniversum.
Auf rechten Plattformen wie Journalistenwatch tobt man, wortwörtlich heißt es dort: "Die Firma Milram scheint sich mit ihrer neuen, links-woken Käse-Werbung und Multi-Kulti-Belehrungs-Quark mit aller Gewalt sowohl vom Umsatz, als auch vom Gewinn verabschieden zu wollen. Wenn ein Unternehmen so sehr darum bettelt, wie Milram, dann sollte man dem woken Käseladen den Gefallen tun.”
Auf YouTube werden Videos hochgeladen, Titel: „OH NEIN: Milram Käse wird woke!“, hier zu finden:
https://youtu.be/GdKKgAN7NLM?feature=shared
In den sozialen Netzwerken überschlägt sich das rechte Standardrepertoire: „Go woke, go broke“, „linksgrün versifft“, „Genderquatsch“. Alles, weil auf einer Käsepackung Illustrationen abgebildet sind, die nichts anderes tun, als das echte Leben darzustellen.
Man muss sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen: erwachsene Menschen, die Schaum vor dem Mund bekommen, weil ein Molkereibetrieb mit seinen Verpackungen den gesellschaftlichen Ist-Zustand illustriert. Es ist ein absurdes Schauspiel – einerseits amüsant in seiner Lächerlichkeit, andererseits erschreckend in seiner Intensität.
Denn was sagt es über eine Bewegung aus, wenn sie ernsthaft Käsepackungen als Bedrohung empfindet?
Die Antwort ist so simpel wie entlarvend: Rechte Ideologien funktionieren nur, solange die Realität ausgeblendet bleibt. Sie leben von einem Zerrbild der Gesellschaft – homogen, statisch, rückwärtsgewandt. Ein Deutschland in schwarz-weiß, irgendwo zwischen Wirtschaftswunder-Idylle und völkischer Romantik. Queere Menschen? Gibt es da nicht. Migrantische Familien? Gehören nicht dazu. Vielfalt? Wird zur Bedrohung erklärt.
Und dann kommt Milram, legt ein Stück Gouda ins Kühlregal und macht sichtbar, was längst Fakt ist: Menschen leben verschieden, lieben verschieden, sehen verschieden aus. Genau das reicht, um das Kartenhaus des rechten Weltbilds ins Wanken zu bringen.
So entsteht eine groteske Situation: Die Kampagne selbst ist harmlos – bunte Illustrationen, ein Gewinnspiel, ein Marketingkonzept, das in jeder Werbeagentur als eher unaufregend durchgehen würde. Doch die Reaktionen machen daraus ein Politikum. Plötzlich wird Käse zum Symbol. Nicht, weil Milram das wollte, sondern weil Rechte ihre eigene Fragilität offenlegen.
Es ist fast rührend, wie verletzlich dieses Milieu ist. Da wird von „Meinungsfreiheit“ gesprochen, während man in Wahrheit nicht einmal erträgt, dass auf einer Käsepackung eine Frau mit Bart sitzt. Da wird von „Stärke“ gepredigt, während schon ein paar Herzchen auf einer Illustration reichen, um in kollektive Schnappatmung zu verfallen.
Die Wahrheit ist: Wer sich von einer Käseverpackung bedroht fühlt, hat kein politisches Projekt – er hat ein psychisches Problem.
Natürlich darf jeder Milram boykottieren. Das ist gelebte Marktwirtschaft. Aber dann bitte konsequent. Statt sich im Internet zu echauffieren, könnten diese Leute ja eine eigene Käsemarke auf den Markt bringen. Mit Verpackungen, die ihre Ideale abbilden: das Konterfei von Alice Weidel im Profil, daneben eine Reichsflagge, darunter in Frakturschrift: „Adolf würde diesen Käse lieben“. Es wäre eine ehrliche Marke, klar im Wertesystem verortet. Und vielleicht wäre sie sogar praktisch – so wüsste man im Supermarkt sofort, welchen Käse man garantiert nicht kaufen möchte.
Die eigentliche Pointe dieser ganzen Geschichte ist jedoch nicht der Boykottaufruf, nicht das Gejammer, nicht das „woke“-Gebrüll. Sondern die Tatsache, dass eine Käsepackung zum Lackmustest geworden ist. Sie trennt jene, die Vielfalt als Normalität akzeptieren, von jenen, die selbst an der Supermarktkasse noch im Jahr 1955 stehen möchten.
Am Ende bleibt festzuhalten: Milram hat keinen Skandal produziert. Die Empörung hat sich selbst entlarvt. Und wer im Jahr 2025 glaubt, eine bunte Illustration auf einem Stück Gouda sei der Anfang vom Ende des Abendlandes, der zeigt nicht die Schwäche der Marke Milram, sondern die Schwäche des eigenen Weltbildes.
Oder, um es sarkastisch auf den Punkt zu bringen: Wenn euch Käsepackungen schon triggern, wie haltet ihr eigentlich den Rest des Lebens aus?
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