Ekelhafte Kommentare: Wie ein schlichter Infopost zur Bühne der Verrohung wurde
Ein nüchterner, sachlicher Infopost vom 18.09.2025 des Landkreises Friesland.
"Seit dem 1. August ist die Queere Beratungsstelle im Landkreis Friesland wieder besetzt und bietet Beratung, Austausch, Aufklärung und Unterstützung für Menschen mit LSBTIAQ+-Identitäten, Angehörige und Institutionen.✨" ¹
Keine Provokation, keine politische Polemik, kein moralischer Zeigefinger.
Einfach die Information, dass die queere Beratungsstelle seit dem 1. August wieder besetzt ist und für Beratung, Aufklärung, Austausch und Unterstützung zur Verfügung steht – kostenlos, vertraulich, unabhängig. Ein Hinweis, der eigentlich genauso unspektakulär wirken müsste wie ein Hinweis auf eine neue Öffnungszeit im Bürgerbüro oder eine Erinnerung an die Müllabfuhr. Und doch reicht dieser schlichte Post aus, um eine Welle an Reaktionen hervorzurufen, die man nur als erschütternd und zutiefst beschämend bezeichnen kann.
Denn die Kommentarspalte füllt sich nicht mit Fragen, nicht mit Diskussionen, nicht mit Anregungen oder kritischen, aber fairen Hinweisen. Stattdessen schlägt einem eine Sprache entgegen, die im höchsten Maße verachtenswert ist und nichts anderes erkennen lässt als eine erschreckende Verrohung im Umgang miteinander. Menschen werden beleidigt, entmenschlicht und zur Zielscheibe von Spott und Häme gemacht – und das alles unter einer Meldung, die ein Hilfsangebot für besonders verletzliche Gruppen ankündigt.
Da liest man Formulierungen wie: „Mäuschen, das quer aussieht“, die bewusst auf Äußerlichkeiten zielen und Menschen auf eine herabwürdigende Weise klein machen sollen. Andere schreiben, Betroffene seien „geistig gestört“ oder würden „in den Zoo“ gehören – Worte, die nichts anderes sind als pure Entwürdigung. Ein weiterer Kommentar beschimpft die Beratungsstelle und die damit verbundenen Menschen als „Müll“. Wieder und wieder taucht dieser Begriff auf: „So ein Müll braucht keiner“, „Ich frage mich, warum mir dieser Müll angezeigt wird.“ Eine Abfallrhetorik, die direkt signalisiert: Was nicht ins eigene Weltbild passt, hat keinen Wert und darf entsorgt werden.
Und dann sind da die besonders aggressiven Wortmeldungen: „Man, man, man… diese Regenbogenscheiße geht mir dermaßen auf den Sack.“
Offene Abneigung, in Vulgärsprache gegossen, ohne jeden Versuch, sich überhaupt inhaltlich mit dem Thema zu beschäftigen. Andere gehen noch weiter und fordern: „Sowas muss verboten werden!“ oder erklären: „Es gibt nur zwei Geschlechter, alles andere muss dringend therapiert werden.“
Hier zeigt sich ein Denken, das Vielfalt nicht nur ablehnt, sondern aktiv unsichtbar machen will. Angebote, die Schutz und Unterstützung bieten, werden als Gefahr empfunden und sollen am besten vollständig verschwinden.
Hinzu kommt das immer gleiche Steuergeld-Argument, das reflexartig hervorgebracht wird: „Für so einen Schwachsinn ist Geld da, für Schulen, Straßen, Kitas nicht.“ „Verschwendung von Steuergeldern, hört auf zu arbeiten!“
Diese Sätze tauchen zuverlässig auf, wenn es darum geht, Hilfe für Minderheiten zu diskreditieren. Doch sie sind nichts weiter als vorgeschobene Begründungen, die Empathie verhindern sollen. Denn wer ernsthaft über Haushaltsprioritäten diskutieren will, weiß: Auch Beratung und Prävention sind Investitionen in die Gesellschaft. Sie verhindern Leid, sie senken Folgekosten, sie entlasten andere Systeme. Aber um eine sachliche Diskussion geht es hier nicht. Es geht darum, durch das Schlagwort „Steuergeldverschwendung“ eine Brücke zu schlagen zu Ressentiments, die längst vorhanden sind.
Und weil Häme offenbar nicht reicht, greifen manche Kommentierende zu Spott und Zynismus, kleiden ihre Verachtung in vermeintlich lustige Sprüche: „Toaster oder Einhorn?“ „PV-Anlage auf dem Kleid, dann wird meine Powerbank geladen.“ Was auf den ersten Blick wie Humor wirkt, ist bei genauerem Hinsehen nur ein Abwehrreflex: Alles ins Lächerliche ziehen, damit man sich nicht ernsthaft damit befassen muss.
Wenn man diese Kommentare nebeneinander liest, ergibt sich ein erschütterndes Bild. Sie sind nicht nur vereinzelte Ausfälle, sondern sie bilden Muster: Entmenschlichung, Abwertung, Pathologisierung, Verbotsfantasien, Spott. Es ist nicht bloß „Meinungsfreiheit“, es ist ein gezieltes Niedermachen von Menschen, die ohnehin tagtäglich mit Ausgrenzung konfrontiert sind. Und das Verheerende daran: Die Beratungsstelle ist genau dafür da, Betroffene aufzufangen, ihnen Halt und Unterstützung zu geben, ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Doch anstatt diese Funktion zu respektieren, wird sie zum Anlass genommen, noch einmal die ganze Palette an Diskriminierungen öffentlich auszuschütten.
Diese Art von Reaktionen sagt am Ende nichts über die Beratungsstelle aus, sondern ausschließlich über die, die sie äußern. Sie offenbaren ein Weltbild, das Vielfalt als Zumutung empfindet und Sichtbarkeit als Angriff. Sie zeigen eine erschreckende Verrohung, in der es offenbar leichtfällt, Mitmenschen zu beleidigen, zu entwerten und mundtot machen zu wollen, anstatt schlicht wegzusehen, wenn man kein Interesse hat.
Die Tatsache, dass all dies nicht in irgendeinem anonymen Forum, sondern unter einem offiziellen Post einer Kreisverwaltung geschieht, macht es nur noch gravierender. Wer dort solche Kommentare schreibt, weiß, dass sie öffentlich stehenbleiben, für alle sichtbar – auch für diejenigen, die vielleicht mit zitternden Händen überlegen, ob sie sich trauen, bei der Beratungsstelle Hilfe zu suchen. Wer diese Worte liest, kann abgeschreckt werden, sich lieber zurückziehen, lieber schweigen, lieber allein bleiben. Genau deshalb ist es so gefährlich, wenn solche Kommentare unwidersprochen bleiben.
Am Ende bleibt eine Mischung aus Erschütterung, Traurigkeit und Wut. Erschütterung über die Härte der Sprache. Traurigkeit darüber, dass ein Angebot, das helfen soll, so mit Füßen getreten wird. Wut darüber, dass diese Worte bewusst verletzen sollen und dass die Betroffenen dadurch ein weiteres Mal getroffen werden.
Und darüber hinaus bleibt eine Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt, die aber gestellt werden muss: Was bringt Menschen wie stellvertretend Sebastian Linkies, Sebastian Schlinsog, Melanie Brinkmann, Henrik Kasten, Hans-Dieter Oelrichs, Timo Rogge, Daniel Lanfers, Peter Jansen, Heiko Oeltz oder Firmen wie Glaser Transporte eigentlich dazu, auf eine sachliche Information über ein Hilfsangebot mit Ausdrücken wie „Müll“, „Regenbogenscheiße“, „geistig gestört“, „in den Zoo“, „therapieren“ oder „verboten“ zu reagieren? Was in unserer Gesellschaft ist so verroht, dass es leichter fällt, andere niederzumachen, als auch nur einen Moment hinzuschauen, nachzudenken und Mitgefühl zu
zeigen?
Eine geeignete Antwort darauf werden Sie vermutlich niemals geben können.
Das, was unter dem Infopost des Landkreises Friesland zu lesen war, ist nur die Spitze des Eisbergs. Tag für Tag ergießen sich Menschen hemmungslos mit Hass und Hetze in Kommentarspalten, als wäre das Internet ein rechtsfreier Raum, in dem alles folgenlos bleibt. Genau deshalb gilt: Täter benennen, Widerstand zeigen, Screenshots machen, Kommentare melden, Anzeigen stellen. Ja, oft ist die Reaktion von Plattformen und Justiz beschämend langsam, und viel zu viele Moderatoren lassen Hass einfach stehen. Aber Schweigen heißt, diesen Zustand zu akzeptieren – und die Opfer im Stich zu lassen.
(Ich habe mich bewusst dazu entschieden, die Kommentare und ihre Verfasser:innen den Leser:innen nicht vorzuenthalten. Wer auf Facebook öffentlich Hass, Hetze und Spaltung verbreitet, muss auch damit rechnen, namentlich und mit den eigenen Worten öffentlich benannt zu werden.)
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