Michael Mirbach: Ein AfD-Aussteiger im Interview
Michael Mirbach kennt beide Seiten: den Sog der AfD und den schmerzhaften Weg zurück. Mit Anfang fünfzig blickt er auf eine Zeit, in der er sich selbst verlor – getrieben von Frust, Einsamkeit und Krankheit. Heute lebt er mit seiner Frau und dem gemeinsamen Hund in der Grafschaft Bentheim, engagiert sich in der Linken und im Verein „Grafschaft zeigt Gesicht“. Aus dem einstigen AfD-Mitläufer ist ein überzeugter Antifaschist geworden, der offen über seine Fehler spricht und anderen Mut machen will, den Ausstieg zu schaffen.
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Michael, stell dich bitte einmal vor – nicht nur mit deinem Namen, sondern auch mit deiner Geschichte. Wer bist du heute, nach all den Brüchen?
Ich heiße Michael Mirbach, bin 52 Jahre alt, gebürtiger Emsländer und lebe heute mit meiner Frau und unserem Hund in der Grafschaft Bentheim. Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich mit politisch reinem Gewissen wieder in den Spiegel schauen kann, ohne mich zu fragen: Was bist du eigentlich für ein Menschenverachter? Heute fühle ich mich politisch zu Hause.
Mal ehrlich. Wenn du jetzt in den Spiegel schaust – siehst du da den ehemaligen AfD-Mann, den Linken oder einfach Michael Mirbach?
Zuerst sehe ich den Menschen Michael Mirbach. Es gibt schließlich auch ein Leben jenseits der Politik. Dahinter sehe ich den Michael, der zu seinen politischen Wurzeln zurückgekehrt ist. Und ganz weit im Hintergrund, fast nicht mehr sichtbar, den entgleisten AfD-Typen.
Was hat dich damals überhaupt zur AfD getrieben?
Das war ein Mix aus vielem. Privat lag ich am Boden: geschieden, alles verloren, ziemlich allein. Frust, Wut, Depressionen. Dann lernte ich meine jetzige Frau kennen, zog in eine fremde Stadt und hatte dort keine Kontakte. Meine Krankheit erschwerte zusätzlich soziale Bindungen. Ich suchte nach Anschluss – und geriet durch einen Bekannten an die AfD. Ein Stammtisch im Emsland, da begann dieses Kapitel.
Welche Aufgaben hast du konkret in der AfD übernommen?
Nichts Spektakuläres. Hauptsächlich war ich in den sozialen Medien aktiv, auf Facebook – dort bin ich auch völlig entgleist. Dazu kamen kleinere Dienste bei Versammlungen. Ein Mandat wollte ich nie. Einmal war ich Ordner auf einer Demo gegen den Bau einer Moschee: 40 AfD-Anhänger, 200 Gegendemonstranten. Das war peinlich und unangenehm.
Du wurdest in einem Artikel der Grafschafter Nachrichten als „harter Rechtsaußen“ beschrieben. Wie muss man sich das vorstellen?
Das Label kam vom Redakteur. Ich selbst habe fast ausschließlich bei Facebook agiert – in der Rhetorik habe ich schlicht Höcke kopiert. Völkisch-nationaler Bullshit. Gewalt war für mich nie eine Option, im Gegenteil: Ich bin Kriegsdienstverweigerer und Mitglied der DFG-VK.
Björn Höcke war für dich eine Art Schlüsselfigur. Warum?
Weil er ein gefährlicher Demagoge ist. Damals war ich empfänglich für Anerkennung und Zugehörigkeit, und seine Rhetorik hat mich beeindruckt. Heute ekelt mich das an. Heute warne ich vor Leuten wie ihm.
Hinter verschlossenen Türen ist die AfD noch radikaler – stimmt das?
Teils, ja. Unter sich sprechen manche viel offener, als sie es in der Öffentlichkeit tun würden. Aber nicht alle – es gibt auch Mitläufer, die gar nicht dort hingehören.
Wie haben deine damaligen Parteikollegen reagiert, als du ausgetreten bist?
Mit einem Shitstorm, der bis heute anhält. Beleidigungen, Verleumdungen, Drohungen – auch gegen meine Frau, die politisch gar nichts damit zu tun hat. Ich wurde zum Feindbild. Vor allem in Facebook-Gruppen der Region läuft seit Jahren eine regelrechte Hetzkampagne.
Wann hast du gemerkt, dass die AfD Politik gegen deine eigenen Interessen macht?
Relativ früh. Mein Lieblingsspieler war Jerome Boateng – Vielfalt war für mich immer wichtig. Sozialpolitisch vertritt die AfD nicht Menschen wie mich. Ich bin krank, also nicht leistungsfähig – die Partei steht für genau das Gegenteil von Solidarität. Auch meine Haltung zu queeren Menschen passt nicht in deren Weltbild. Kurz: Ich habe mich selbst belogen.
Viele schaffen den Ausstieg nicht. Du hast es geschafft. Was hat dir die Kraft gegeben?
Der Anschlag von Hanau war der finale Bruch. Schon vorher hatten Halle und der Mord an Walter Lübcke mich ins Grübeln gebracht. Aber nach Hanau war klar: Ich will nicht mehr zu den geistigen Brandstiftern gehören. Am 26. Februar 2020 habe ich meine Austrittserklärung geschrieben.
Hast du versucht, andere vom Ausstieg zu überzeugen?
Ja, gelegentlich. Aber wer jahrelang in dieser Blase gefangen ist, ist kaum noch erreichbar. Die Indoktrination ist tief.
Welche Argumente könnten trotzdem wirken?
Am ehesten die Frage: Was tut die Partei wirklich für dich? Das Problem ist nur: Viele wissen, dass die AfD ihre Interessen gar nicht vertritt – und laufen trotzdem hinterher.
Dein Weg führte von der AfD zu den Linken, dann zu den Grünen und schließlich zurück zur Linken. Warum? Das sind ja schon Extreme.
Nach meinem Austritt bin ich zuerst wieder in die Linke eingetreten – zurück zu meinen Wurzeln. Wegen Wagenknecht bin ich später wieder ausgetreten, dann war ich eine Zeit lang bei den Grünen. Aber die waren mir nicht links genug. Als Wagenknecht ging und das BSW entstand, bin ich zurück zur Linken – und dort fühle ich mich zuhause.
Wie war die Aufnahme in der Partei? Gab es Skepsis?
Beim ersten Eintritt vor fünf Jahren schon vereinzelt. Heute nicht mehr. Ich habe keinen Rückfall gehabt, engagiere mich aktiv – etwa bei „Grafschaft zeigt Gesicht“. Innerhalb der Linken wurde ich sehr positiv aufgenommen.
Warum ausgerechnet Die Linke?
Weil sie für Menschlichkeit steht. Für soziale Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen Rüstungsexporte, gegen Militarisierung, gegen Rassismus und für Antifaschismus. Meine Vergangenheit hat mich zum überzeugten Antifaschisten gemacht.
Gibt es Punkte, an denen du mit der Partei haderst?
Im Moment nicht. Die Linke war fast tot, ist jetzt aber wieder stark. Es gibt keinen Grund, schlecht zu reden – wir müssen positiv nach vorne schauen.
Wie reagiert dein Umfeld auf dein Engagement?
AfD-Anhänger diskreditieren mich als „Wolf im Schafspelz“. Aber das ist Unsinn. Meine Frau unterstützt mich, sie freut sich, dass ich bei der Linken zufrieden bin. Hass macht unzufrieden – und ich bin es nicht mehr.
Viele sagen: Wer einmal so weit rechtsaußen war, bleibt verdächtig. Warum sollte man dir glauben, dass du heute für Demokratie stehst?
Weil ich seit fast sechs Jahren konsequent gegen Rassismus und für Demokratie kämpfe. Ich engagiere mich politisch, öffentlich und privat. Wer mich erlebt, sieht, dass es keinen Grund für Misstrauen gibt.
Wenn du an deine AfD-Zeit zurückdenkst – wofür schämst du dich am meisten?
Für die Gehässigkeit. Für das Mitläufertum. Für das Teil-sein dieser geistigen Brandstifter. Aber der Ausstieg hat mein Gewissen gereinigt. Heute stehe ich für Demokratie, Freiheit und Würde.
Michael, vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit für mich genommen hast. Ein guter Abschluss wäre?
Zum Schluss nur noch eins: Alerta, Alerta, Antifascista! ✊🚩
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