Symbolpolitik beim Bürgergeld, Schweigen beim Steuerraub
Symbolpolitik beim Bürgergeld, Schweigen beim Steuerraub
Die Bundesregierung hat sich ihr Lieblingsfeindbild zurechtgelegt: den Bürgergeld-Empfänger.
Kein Thema wird so genüsslich durch die Schlagzeilen geprügelt, kein Missbrauchsfall so sehr aufgeblasen. 260 Millionen Euro Schaden im Jahr 2023 – das sind die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Kein Kleingeld, aber auch kein Betrag, der ein Land in die Knie zwingt. Trotzdem wird daraus eine Staatsaffäre gemacht, als hinge die Zukunft der Republik an ein paar Hundert Euro zu viel auf einem Konto. Talkshows, Reden im Bundestag, wütende Leitartikel – alles kreist um „Sozialschmarotzer“.
Und währenddessen? Läuft im Hintergrund die eigentliche Plünderung: der systematische Raub durch Steuerhinterziehung. Der Bundesrechnungshof hat im April 2025 klar benannt, dass dem Staat jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge verloren gehen. Allein 2023 stellten Steuerfahnder rund 2,5 Milliarden Euro sicher – und das ist nur ein Bruchteil des tatsächlichen Schadens. Steuerexperten wie Florian Köbler, Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, rechnen mit rund 200 Milliarden Euro Verlust pro Jahr. 200 Milliarden – das ist fast das Tausendfache dessen, was beim Bürgergeld an Missbrauch entsteht. Während sich die Republik also an 260 Millionen Euro hochzieht, wird beim ganz großen Diebstahl demonstrativ weggeschaut.
Das setzt sich zusammen aus etwa 100 Milliarden Euro durch aggressive Steuervermeidung internationaler Konzerne, 70 Milliarden Euro durch alltäglichen Steuerbetrug und 30 Milliarden Euro durch Umsatzsteuer-Karusselle. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist organisierte Ausplünderung des Staates, Jahr für Jahr.
Und was macht die Politik? Sie schaut demonstrativ weg. Im aktuellen Koalitionspapier wird Sozialleistungsmissbrauch groß herausgestellt, Steuerhinterziehung dagegen mit keinem Wort erwähnt. Man zeigt Härte gegen die Schwächsten, während man die Mächtigen schont. Nach unten treten, nach oben kuschen – das ist das Prinzip. Die Regierung betreibt symbolische Politik für die Galerie und lässt dort, wo es wirklich brennt, das Feuer lodern.
Dabei wären die Lösungen klar. Der Bundesrechnungshof fordert die konsequente Digitalisierung der Finanzämter und moderne Instrumente, um Steuereinnahmen zu sichern. Steuerfahnder drängen auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz, weil die immer komplexeren Betrugsstrukturen längst nicht mehr mit händischen Prüfungen in den Griff zu bekommen sind. Doch statt aufzurüsten, wird abgebaut: Bis 2030 sollen bis zu ein Drittel der Steuerfahnderstellen gestrichen werden. Das ist, als würde man der Feuerwehr die Schläuche wegnehmen, während das Haus bereits in Flammen steht.
Natürlich muss auch Sozialleistungsmissbrauch bekämpft werden. Aber die Art und Weise, wie die Politik daraus ein nationales Drama strickt und gleichzeitig Steuerbetrüger komplett ausblendet, ist nichts anderes als Respektlosigkeit – gegenüber allen, die ehrlich ihre Steuern zahlen, gegenüber allen, die tatsächlich auf Unterstützung angewiesen sind, und gegenüber einem Staat, der seine eigene Glaubwürdigkeit verspielt.
Die wahren Sozialschmarotzer sind nicht die, die ein paar Hundert Euro zu viel Bürgergeld kassieren. Es sind Konzerne, Netzwerke und Kriminelle, die Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge verschwinden lassen. Und eine Regierung, die sich weigert, dieses Problem anzupacken, macht sich zum Komplizen. Sie inszeniert Stärke, indem sie die Schwachen vorführt, und beweist Schwäche, indem sie die Starken laufen lässt. Das ist die eigentliche Schande.
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