10 Gründe, wieso man mit Nazis nicht spricht.


Mit Nazis spricht man nicht. 

Dieser Satz ist keine Unhöflichkeit, kein Mangel an Diskursfähigkeit und schon gar kein Ausdruck von Argumentationsarmut. Er ist eine verdichtete Lehre aus Geschichte, politischer Theorie und praktischer Erfahrung. Wer ihn für dogmatisch hält, glaubt offenbar immer noch, Faschismus sei bloß eine besonders schrille Meinung innerhalb eines ansonsten gemütlichen Meinungsspektrums – so etwas wie politischer Koriander: Muss man nicht mögen, gehört aber halt dazu. Genau diese Fehleinschätzung ist jedoch Teil des Problems.

Nazis wollen keinen vernünftigen Dialog. Wirklich nicht. Wer ihnen das bis heute unterstellt, hat entweder nie zugehört – oder einfach schon viel zu lange. Sie betreten Debattenräume nicht, um Erkenntnisse zu gewinnen, sondern um sie umzubauen. Während Demokratinnen und Demokraten noch davon ausgehen, dass es um Argumente, Belege und Konsistenz geht, haben Nazis längst ein anderes Ziel: den Referenzrahmen zu verschieben. Nicht die Antwort ist entscheidend, sondern die Frage. Nicht der Inhalt, sondern die Tatsache, dass überhaupt diskutiert wird. Denn jede Diskussion signalisiert: Diese Position ist prinzipiell verhandelbar. Und genau das soll am Ende hängen bleiben.

Das Grundprinzip ist wirklich sehr simpel und bewährt. Zuerst wird provoziert. Dann wird relativiert. Dann wird Normalität behauptet. Was gestern noch als Tabubruch galt, gilt heute als „kontrovers“, morgen als „mutig“ und übermorgen als legitimer Teil des Meinungsspektrums. Dass dabei Menschen entwürdigt, bedroht oder ausgegrenzt werden, ist kein Betriebsunfall, sondern Zweck der Übung. Wer meint, man könne diesen Prozess mit guter Argumentation stoppen, hält eine moralische Debatte für ein Schachspiel, während die Gegenseite gerade versucht, das Brett in Brand zu setzen.

Zentrale Säule dieser Strategie ist Geschichtsrevisionismus. Und nein, der beginnt nicht mit offenem Holocaustleugnen, sondern viel eleganter. Historische Forschung wird zur Meinung erklärt, Gedenkstätten zur politischen Beeinflussung, gesicherte Fakten zu „Narrativen“. Man müsse „ja wohl noch fragen dürfen“, ob das alles wirklich so gewesen sei, ob nicht übertrieben werde, ob andere Verbrechen nicht genauso schlimm gewesen seien. Am Ende steht eine verschobene Perspektive: Nicht mehr der Nationalsozialismus gilt als historische Katastrophe, sondern die Erinnerung an ihn als Zumutung. Verantwortung wird damit elegant entsorgt – nicht durch Leugnung, sondern durch Ermüdung.

Darauf folgt die Bagatellisierung. Millionen Ermordete schrumpfen zur Zahl, systematischer Terror zur „dunklen Zeit“, industrielle Vernichtung zur historischen Entgleisung. Sprache wird so lange entschärft, bis sie nichts mehr benennt. Aus Tätern werden Umstände, aus Ideologie Missverständnisse, aus Mord Geschichte. Das ist kein sprachliches Versehen, sondern ideologische Hygiene: Alles, was zu klar, zu brutal, zu endgültig klingt, stört die Normalisierung. Wer das relativierbar macht, macht jedes andere Verbrechen anschlussfähig. Moral wird flexibel, Empörung optional.

Besonders wirkungsvoll ist die Opfer-Täter-Umkehr. Plötzlich sind nicht mehr jene bedroht, die Ziel rechter Gewalt sind, sondern diejenigen, die hetzen. Die armen Nazis als Opfer von Meinungsdiktatur, unterdrückt von Medien, Wissenschaft und Gesellschaft – das Märchen gehört mittlerweile zur Grundausstattung. Widerspruch wird als Repression gedeutet, Fakten als Zensur, Aufklärung als Angriff. Antifaschismus erscheint dann nicht mehr als notwendige Verteidigung, sondern als übergriffige Ideologie. Die Rollen sind komplett vertauscht, Empathie neu verteilt, Verantwortung ausgelagert. Wer sich darauf einlässt, diskutiert irgendwann darüber, ob Menschenfeindlichkeit nicht auch eine Perspektive sei, die „gehört werden müsse“.

Zur intellektuellen Absicherung dieses Zerrbilds dient die Hufeisentheorie. Sie verspricht Ausgewogenheit und liefert Relativierung. Links und rechts gelten plötzlich als gleich gefährlich, als strukturell identisch, nur mit anderer Wortwahl. Ganz ehrlich, das ist vollkommener Schwachsinn. Dass die einen Gleichheit fordern und die anderen Ausgrenzung, dass die einen demokratische Teilhabe verteidigen und die anderen autoritäre Herrschaft propagieren, fällt dabei nämlich unter den Tisch. Antifaschismus wird zur extremen Haltung erklärt, Faschismus zur provozierenden Meinung. Wer diesen Rahmen übernimmt, muss gar nicht mehr mit Nazis reden – der Diskurs erledigt ihre Arbeit gleich selbst.

Parallel wird Rechtsextremismus konsequent kleingerechnet. Netzwerke sind dann nur Szenen, Ideologie nur Provokation, Gewalt nur das Werk Einzelner. Struktur? Zufall. Kontinuität? Überinterpretation. Gleichzeitig geraten demokratische Protestformen unter Generalverdacht. Plötzlich gelten nicht mehr Neonazis als Gefahr, sondern jene, die sie benennen und bekämpfen. Das Problem wird nicht gelöst, sondern verschoben, bis seine Existenz selbst als hysterisch gilt.

Ein weiterer Angriff richtet sich gegen die Erinnerungskultur. Gedenken wird verspottet, Verantwortung als nationale Selbstkasteiung dargestellt. Begriffe wie „Schuldkult“ sollen suggerieren, Empathie sei ungesund und historisches Lernen ein Zeichen von Schwäche. Der gewünschte Effekt ist der Schlussstrich. Nicht aus historischer Reife, sondern aus Bequemlichkeit. Eine Gesellschaft, die sich nicht mehr erinnern will, macht sich formbar. Genau deshalb steht Erinnerung so massiv unter Beschuss.

Argumentativ zusammengehalten wird dieses ideologische Gebilde durch Whataboutism, Faktenverdrehung und letztlich Faktenleugnung. Kritik wird nicht beantwortet, sondern zerstreut. Statt über rechte Ideologie redet man plötzlich über alles Mögliche – nur nicht darüber. Zahlen werden selektiv zitiert, Zusammenhänge zerlegt, Belege infrage gestellt. Wenn nichts mehr trägt, wird die Realität selbst delegitimiert. Medien lügen natürlich, Wissenschaft täuscht, Institutionen sind nach rechter Logik gekauft. Wahrheit ist dann keine überprüfbare Größe mehr, sondern eine Frage der Loyalität.

Unter diesen Bedingungen ist Diskussion keine demokratische Übung, sondern politischer Leichtsinn. Die Spielregeln gelten nur einseitig. Während die eine Seite argumentiert, untergräbt die andere die Existenz von Argumenten. Während noch erklärt wird, werden Grenzen verschoben. Jede Bühne, jede Einladung, jedes Gespräch auf Augenhöhe verleiht rechtsextremer Ideologie symbolische Legitimität. Nicht, weil man ihr zustimmt, sondern weil man so tut, als sei sie prinzipiell diskutabel.

Über Nazis zu sprechen ist dringend notwendig. Ihre Strategien müssen klar offengelegt, ihre Ideologien benannt, ihre Netzwerke analysiert werden. Mit überzeugten Nazis zu sprechen hingegen ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Lernresistenz. Ja, das gilt auch für alle Miosgas, Maischbergers, Lanz' und wie sie alle heißen da draußen. Es macht aus einer Ideologie der Entmenschlichung einen verhandelbaren Standpunkt und aus Demokratie ein Experimentspielfeld. Neutralität ist hier keine Haltung, sondern ein Versäumnis. Demokratie ist nicht wertfrei. Sie lebt von klaren Grenzen – und sie geht zugrunde, wenn man aus Menschenfeindlichkeit einen Diskussionsbeitrag macht. Mit Nazis spricht man nicht. Außer, sie sitzen im Gerichtssaal auf der Anklagebank. Deshalb gilt: Man widerspricht ihnen, man entlarvt sie, man grenzt sie aus dem demokratischen Raum aus und schützt die, die sie angreifen. Alles andere ist keine Offenheit, sondern die Einladung zum nächsten Grenztest.

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